Sehr geehrte PR-Beraterinnen und PR-Berater, liebe Leser*innen sowie alle Menschen mit Interesse am Gendern,

fühlen Sie sich von dieser Ansprache abgeholt? Die Antworten hierauf dürften wahlweise widersprüchlich oder erregt ausfallen, denn eines steht fest: Beim Thema geschlechtergerechte oder neutrale Sprache scheiden sich die Geister.

Worum geht’s hier eigentlich?
Die Debatte um das Gendern erhitzte sich zuletzt Anfang 2019, als die Stadt Hannover eine verbindliche Empfehlung für den gesamten Schriftverkehr in der Verwaltung einführte. Die wichtigste Grundregel sei es, geschlechtergerechte Formulierungen zu verwenden – ob nun in E-Mails, Broschüren, Presseartikeln oder Rechtstexten. Die Idee dahinter: eine diskriminierungsfreie und den Geschlechtern gerecht werdende Sprache so umzusetzen, dass die Ansprache aller Geschlechter, auch jenseits der Kategorien Frau oder Mann gewährleistet ist.

Google findet zu den Suchbegriffen Hannover und geschlechtergerechte Sprache rund 56.000 Ergebnisse, darunter Artikel wie Geschlechtergerechte Sprache: Hannover schafft den Lehrer ab auf der Homepage von Die Welt oder Gender und Sprache: geschlechtslos in Hannover auf Zeit Online. Auch die FAZ berichtet in einem Online-Beitrag, Hannover ignoriere die Erkenntnisse. Aber um welche Erkenntnisse geht es hier?

Im Zentrum der Debatte steht das generische Maskulinum, also die Verwendung des männlichen Genus (grammatisches Geschlecht) für die Benennung eines gemischtgeschlechtlichen Kollektivs. Ein Beispiel hierfür wäre: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. In solchen Formulierungen wie diesen sei das biologische Geschlecht (Sexus), in dem Fall das des Arztes oder Apothekers, nicht relevant und meint Frauen und Männer gleichermaßen – so die Befürworter des generischen Maskulinums.

Widerstand gegen den Gender-Wahnsinn
Gegen geschlechtergerechte oder neutrale Formulierungen regt sich enormer Widerstand. So setzt sich der Verein Deutsche Sprache beispielwiese für den Erhalt und Förderung des Deutschen als eigenständige Kultursprache ein, startete die Petition „Schluss mit Gender-Unfug" und nennt in ihrem Aufruf folgenden Kritikpunkte:

Die sogenannte gendergerechte Sprache beruht erstens auf einem Generalirrtum, erzeugt zweitens eine Fülle lächerlicher Sprachgebilde und ist drittens konsequent gar nicht durchzuhalten. Und viertens ist sie auch kein Beitrag zur Besserstellung der Frau in der Gesellschaft.

Die Frage nach der Wirkung
Die Kritik an gendergerechter Sprache richtet sich auch an ihre angeblich ausbleibende Wirkung. Die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft würde nicht dadurch erreicht, dass man auf einmal von Professorinnen und Professoren spricht und auch die Führungsriegen blieben dadurch nicht weniger von Männern besetzt. Im Fokus dieser Debatte steht hier also auch die Frage, ob Sprache Wirklichkeit hervorbringt. Befürworterinnen und Befürworter des Genderns kritisieren an dieser Stelle, dass sich die VorHERRschaft des Mannes in der Gesellschaft nicht nur in der Sprache reflektiert, sondern dass die einseitige Verwendung des generischen Maskulinums die männliche Dominanz zusätzlich festige.

Dass die Art und Weise, wie Sprache verwendet wird, eine festigende Funktion inne hat, zeigt unter anderem eine Studie der FU Berlin, die an 591 Schulkindern in zwei Experimenten testete, welchen Einfluss jeweils die Bezeichnung von Berufen im generischen Maskulinum oder die genderegerechte Formulierung auf Kinder hat. Das Ergebnis: Bei den befragten Mädchen trauten sich erheblich mehr von ihnen zu, typische männliche Berufe zu ergreifen, wenn von den Berufen in gendergerechter Paarform, also beispielsweise von Dachdeckerinnen und Dachdeckern, gesprochen wurde.

Gendern in der Praxis – ohne, dass es weh tut
Studien wie die obige zeigen, dass Gendern sehr wohl einen Unterschied macht. Natürlich ist Sprache nicht das einzige Instrument, das für die Gleichstellung der Frau in der Realität sorgt. Aber Sprache kann unterstützend dazu beitragen. In der Praxis haben jedoch noch viele Medienschaffende Einwände gegen das Gendern, die oft ganz praktischer Natur sind: Überschriften seien zu lang, Texte klingen komisch und Sonderzeichen wie das Sternchen unterbrechen den Lesefluss.

Dieser Meinung ist auch Bastian Sick, Journalist, Buchautor und einer von über 30.000 Menschen, die die Petition „Schluss mit Gender-Unfug‟ unterzeichneten. Aus journalistischer Sichtweise sei die Verwendung des generischen Maskulinums zweckmäßig, da Redakteure sowohl in Zeitungen als auch im Radio an eine bestimmte Zeilenanzahl oder Sendedauer gebunden sind.

Hierzu hat sich der Journalistinnenbund Gedanken gemacht und die Webseite genderleicht.de ins Leben gerufen, die sich insbesondere an Medienschaffende richtet. Dort zu finden sind Anregungen für eine sensible, gendergerechte und diskriminierungsfreie Sprache sowie Tipps und Tricks, auch für all jene, die sich in einem eher konservativen Medienumfeld bewegen. Denn sie müssen Formulierungen finden, die die eher traditionsbewusste Leserschaft nicht gleich zum Boykott des jeweiligen Mediums aufrufen.

Diesen Spagat sollte auch die PR-Beratung schaffen, denn ob Print, Radio, oder Fernsehen – verschiedene Medienarten benötigen auch unterschiedliche Formate. Um erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu machen, ist an erster Stelle das Zielmedium ausschlaggebend. Gendersternchen oder das Binnen-I erfreuen sich vielleicht in Medien mit einer jungen Leserschaft großer Beliebtheit, traditionelle Publikationen wie Wochenzeitungen oder Wirtschaftsmedien sind dahingegen weniger experimentierfreudig.

Aber auch hier können kreative Köpfe der Medienbranche einen Weg finden:  

  • Neutrale Formulierungen wie „Fachkraft‟ statt „Fachmann‟ oder „Publikum‟ statt „Zuschauer‟
  • Verben statt Substantive wie „es nehmen teil‟ statt „Teilnehmer‟
  • Institutionen statt Personen wie „Redaktionsleitung‟ statt „Redaktionsleiter‟
  • Mehr weibliche Zitatgeberinnen oder Expertinnenmeinungen, insbesondere in Männer dominierten Bereichen
  • Direkte Anrede mit dem Vor- und Nachnamen, statt explizit auf das Geschlecht hinzuweisen wie bei Herr Mustermann
  • Vermeidung oder Auflösung von Klischees, immerhin gibt es auch Ingenieurinnen und Geburtshelfer
     

In Vielfalt geeint – mehr als nur ein Motto
Die deutsche Sprache ist lebendig und hat sich über die Jahrhunderte stets verändert und so wie eine Gesellschaft stets im Wandel ist, wandelt sich auch die Sprache. Am Ende könnten Gelassenheit, ein gewisser Optimismus und ein wenig Kreativität ganz guttun. Wie es Murtaza Akbar, Geschäftsführer der Agentur Wortwahl, sagt:

Vielfalt und eine geschlechtergerechte Sprache zeugen genauso wie das m/w/d in Stellenanzeigen von einer modernen Gesellschaft und demokratischen Werten. Das bereichert den wunderbaren deutschen Wortschatz. Genauso wie der Einsatz des Gendersternchens – gerne freiwillig und überzeugt statt verordnet.

Weitere Informationen und Tipps für Medienschaffende sind unter den folgenden Links zu finden:

https://www.genderleicht.de/

https://geschicktgendern.de/

https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/organisation/Gleichstellung-im-NDR,ndr1442.html

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/genderleicht-de-so-funktioniert-gendergerechte-sprache

https://www.djv.de/en/startseite/info/themen-wissen/chancengleichheit-diversity/diskriminierungsfreie-sprache.html

http://www.onlinejournalismus.org/programme/muc/gender_journpr.pdf

https://shop.duden.de/Shop/Richtig-gendern

https://pinkstinks.de/

https://www.neuemedienmacher.de/